Die Nacht verlief etwas unruhig, da unsere russisch-estnischen Mitbewohner meinten, bei sechs Leuten in einem Zimmer und 25 Grad noch in der Nacht das Fenster zu schließen und nur noch anzukippen. Des Weiteren hatten zumindest zwei von ihnen etwas gegessen, was sie scheinbar nicht gut vertrugen und der unter mir im Bett schnarchte noch zusätzlich. Als die Herren heute endlich mal die Äuglein öffneten, hatte ich schon einmal vorsorglich eine Touri-Route mit den wichtigsten Sehenswürdigkeiten recherchiert und aufgestellt, so dass wir uns nur schnell frisch machten, die Sachen ins Auto luden und zur U-Bahn-Station Niahmia liefen. Hier erinnert eine Gedenkstätte an die 53 Opfer einer Massenpanik, die ausgelöst wurde, als sich hier 1999 zu viele Leute vor einem Unwetter in Sicherheit bringen wollten.
Dann ging es weiter zum Rathaus und dann zum Palast der Republik und dem Palast der Gewerkschaften. Beides sind gewaltige Protzbauten, die durch den riesigen Oktoberplatz, auf dem sie stehen, noch erdrückender wirken. Auf dem Oktoberplatz fanden bei den letzten Wahlen Demonstrationen gegen das Regime statt, die teils gewaltsam aufgelöst wurden. Seitdem sind Demonstrationen an diesem Ort verboten. Mit der U-Bahn fuhren wir dann zum Leninplatz, wo sich sowohl die Simon-und-Helena-Kirche, als auch das Regierungsgebäude Weißrusslands befindet. Die rote Backsteinkirche ist ein wichtiges Wahrzeichen der Stadt, konnte aber durch uns wegen laufender Andacht nicht betreten werden. Direkt nebenan ist das gigantische Regierungsgebäude, was nach Reiseführer ausdrücklich nicht fotografiert werden darf. Da eine russische Tourigruppe das nicht zu jucken schien, missachteten wir auch schön mal dieses Verbot und leben auch überraschenderweise bis jetzt noch. Wieder in der U-Bahn mussten wir jetzt zum zweiten Mal unsere Taschen durchleuchten lassen. Scheinbar wirkten wir so dermaßen terrorverdächtig, dass dies nötig schien. Vom Jakub-Kolas-Platz liefen wir dann zum Komarowsky Markt.
Achtung, es folgt ein Abschnitt über Essen, wer das nicht lesen will, liest beim nächsten Abschnitt weiter. 🙂
Auf dem riesigen Markt (irgendwie ist in Minsk alles riesig) holten wir uns gleich ein paar Blaubeeren und Kirschen, die wir gleich verspeisten und ein paar Aprikosen, Kirschen und Gurken für später. Dann schlenderten wir durch die (auch riesige) Markthalle, wo es von Käse, lebenden und toten Fischen, ganzen Schweinen, jeglichen Innereien und sonstigem Fleischgedöns wirklich fast alles Vorstellbares gab. Sauer eingelegtes Gemüse war zu meiner großen Enttäuschung leider nicht aufzutreiben. Anschließend gingen wir noch in das Selbstbedienungsrestaurant „Lido“, welches wir kugelrund vollgegessen mit leckeren osteuropäischen Gerichten wieder verließen.
Christian ist vom finanziellen her gesehen sehr froh, Weißrussland zu verlassen, da er der Herr über unsere weißrussischen Rubel spielen und alles bezahlen musste. Weißrussland befand sich nämlich noch vor kurzem in einer gewaltigen Inflation. Da entsprach 50 Cent in etwa 10.000 weißrussischen Rubeln. Die Inflation wurde vor kurzem damit „gelöst“, kurzerhand vier Nullen wegzustreichen. Die alten Scheine wurden aber nicht aussortiert, so dass neue Scheine und alte Scheine parallel zueinander existieren. Die 100-Rubelscheine sind allerdings nur einen halben Cent wert. Kurz: Christian bezahlt in etwa wie eine 80-jährige Oma beim Netto, die schlussendlich so genervt ist, dass sie alle Scheine rüberreicht, die sie hat.
Auf der Autobahn nach Russland ein Schockmoment ohne gleichen. Das Beltoll-Gerät piept zweimal – man erinnere sich, zweimal piepen —> Problem. Nach längerem Suchen nach einer Tankstelle, die das Problem beheben kann, wird man auch fündig. Die Frau am Schalter zuckt mit den Schultern und meint, doch kein Problem. Tatsächlich gibt es auch bei Abgabe des Gerätes kurz vor der Grenze keinerlei Probleme.
Alles in allem kann man zu Weißrussland sagen: Das Land ist dabei, für den Tourismus Fuß zu fassen und ist keinesfalls rückständig. Die Politik ist kacke, aber die Leute sind nett und geben sich Mühe, einen auch trotz nicht so großer Englischkenntnisse Dinge zu erklären. Man sollte sich eigentlich für das Land schon alleine wegen der aufreibenden Grenzkontrollen mehr Zeit nehmen als nur 48 h Transitvisa.
Circa 18 Uhr erreichten wir die russische Grenze und stellten die Uhr noch eine Stunde vor. Bei uns ist es also derzeit 2 h später als in Deutschland. Auf der Fahrt nach Smolensk schauten wir uns noch die Gedenkstätte Katyn an. Dort erschossen Sowjets auf Befehl von Stalin im Laufe eines Monats im Jahr 1940 etwa 4400 polnische Offiziere. Erst 1990 wurde im Laufe der Entstalinisierung bekannt, dass das der deutschen Wehrmacht in die Schuhe geschobene Verbrechen eigentlich ein Kriegsverbrechen der Sowjets war. Der Gedenkort ist eher in Form eines Friedhofs und eines Besinnungsortes als ein Ort der Information gestaltet. Die tausenden von alphabetisch geordneten und eingravierten Namen der Opfer rund um die Massengräber sprechen oder schweigen für sich.
Da die Suche nach einem Campingplatz in Smolensk trotz der Hilfe eines sehr freundlichen Russen, der uns gar nicht mehr verlassen wollte, nicht erfolgreich und die Hotels für eine Nacht zu teuer waren, fuhren wir weiter auf der M1 Richtung Moskau. Da sich der Stundenzeiger schon in Richtung um 10 Uhr bewegte und wir bei dem ersten echt abgewrackten Motel nicht unbedingt die Nacht verbringen wollten, machten wir schon Witze, dass wir wahrscheinlich gar nichts mehr zum Pennen finden und einfach bis nach Moskau durchgurken. Zum Glück tauchte dann doch noch ein bewohnbares Hotel bei Yartsevo am Horizont auf, in dem wir noch schön Soljanka, bzw. alles Veganes, was die Speisekarte hergab, aßen und dann mit einem ordentlichen Glas Wodka auf unsere Ankunft in Russland anstießen. Morgen werden wir erst mal schön ausschlafen, frühstücken und uns dann in Richtung Moskau aufmachen, wo uns unser Freund Andrey schon ein Zimmer in seiner neuen Wohnung freihält.












