11.08.2016 – Ein schwarzer Tag – Von Michelsberg nach Magura

Früh halb 9 klingelte der Wecker und Thommy vollführte wieder sein übliches Körperreinigungsritual. Aber zum Überlegen, wie hoch Thommys Wasserrechnung wohl ist, blieb keine Zeit, denn schließlich wollten wir heute bis nach Bukarest kommen und dabei über den Transfagarasan-Hochpass fahren. Da wir nahe der Stadt Sibiu (Hermannstadt) waren, schlenderten wir am Morgen noch einmal durch die Gassen und Märkte der Stadt. Die Stadt wurde im 12. Jahrhundert von deutschen Siedlern gegründet und besitzt heute noch circa 2000 deutsche Einwohner sowie deutsche Kindergärten und Schulen. In Rumänien ist es Gesetz, dass jede Minderheit das Recht hat, in ihrer Sprache Unterricht zu erhalten. Vorbei ging es in Sibiu am Rathaus und der katholischen Stadtpfarrkirche über die Lügenbrücke zur evangelischen Stadtpfarrkirche. Auf dem Rückweg zum Auto liefen wir noch an einem Stück Stadtmauer entlang und fassten zusammen, dass Sibiu ein sehr schönes beschauliches Städtchen mit historischen Kern ist. Vor allem Menschen ab 60 wird die Stadt vom Sockel hauen. Weiter ging es, bis die Straße rechts zum Transfagarasan-Pass abbog. Etwa 10 km fuhren wir dann auf flacher Strecke, bis sich die Straße in Serpentinen in die Höhe schraubte. Der höchste Punkt dieses Gebirgspasses durch die Karpaten liegt bei knapp über 2000 m. Bei der Anfahrt auf den Pass ahnten wir bei leichten Regen und beim Blick nach oben schon das, was uns nach ein paar Kilometer Serpentinen bestätigt wurde. Wir fuhren in eine absolute Nebelsuppe hinein. Bei Sichtweiten von 5-10 m konnte man froh sein, dass man den Rand der Fahrbahn noch erkennen konnte. Nach circa weiteren 10 km drehten wir enttäuscht um. Wir waren extra etwas weiter westlich ins Land hineingestochen, um diesen Pass zu fahren und nun war es völlig sinnlos, weil man die 155 km mit teils nicht so stabilen Leitplanken im Nebel gefahren wäre. Schade, aber man kann ja wieder kommen.

Die Straße bis nach Bukarest über Brasov kamen wir gut voran. Kurz vor Brasov wollten wir noch zur Tankstelle, um eine Cola zu holen, stellten fest, dass die Tankstelle geschlossen war und wollten gleich wieder auf die Landstraße abbiegen. Christian schaute natürlich beim Auffahren und sagte auch noch: „Oh, jetzt haben wir die Bullen direkt hinter uns“, da gingen auch schon wieder das alt bekannte Lied und die Lichtshow los. Am Seitenstreifen kam dann einer von ihnen auf unser Auto zu. Wir waren alle schon zuvor total angepisst. Was war nun schon wieder? Ob wir rumänisch verstehen, fragte er uns. Nein, nur Deutsch, nur ein bisschen Englisch. Er laberte uns trotzdem auf Englisch zu. Pass, Fahrzeugpapiere, Führerschein. Ob wir wüssten, dass man für das Nehmen der Vorfahrt in Rumänien den Führerschein entzogen bekommt? Waaaas, wollen die uns verarschen? Das Polizeiauto war soweit entfernt, dass sie kein Stück bremsen mussten, als Christian auf die Fahrbahn auffuhr. Sie bleiben bei ihrer Version. Wir ahnen es schon, wir haben eh keine Chance. Wir sollen ihnen in den nächsten Ort folgen. Dort ruft Christian gleich die Botschaft an. Ja, wenn sie behaupten, dass wir ihnen die Vorfahrt genommen haben, ist es legal, den Führerschein zu entziehen, meinen die. Der englisch sprachige Bulle redet auf uns ein. Es wird klar, dass am Steuer sein Chef saß, der es gerade mal für nötig hielt, seinen Frust herauszulassen. Er will freundlich sein und einlenken, aber die Nummer zieht bei der jetzigen dritten Polizeikontrolle auf dieser Reise auch nicht mehr. Da denkt man einfach nur noch scheiß Bullen und mehr nicht. Wir sollen 250 RON (56 €) zahlen, der Führerschein wird eingezogen, wir sollen ihn morgen ihn Brasov abholen. Christian darf aber ab der Abholung 15 Tage nicht mehr fahren und wir müssen uns verpflichten, noch am gleichen Tag aus Rumänien auszureisen. Na so bekommt man auch seine Touristen los. Christian ruft jetzt Joe, den Mann seiner Mutter an, der aus Rumänien stammt. Der versucht auch noch einmal besänftigend mit den Typen zu reden oder einen Deal anzubieten, aber das Urteil ist schon längst gefällt. Keine Chance. Absolute Willkür. Das Beste dieses Zusammentreffen kommt aber noch, denn als Christian das Polizeirevier verlässt, ruft ihm der Chef :„Heil Hitler“ hinterher. Wir verstehen echt die Welt nicht mehr. Besonders Christian kocht innerlich vor Wut.

Da wir den Führerschein morgen in Brasov abholen müssen, fahren wir natürlich nicht weiter nach Bukarest, sondern schauen im Reiseführer nach Alternativen. Wo finden Thüringer die absolute Entspannung nach so einem enttäuschenden Tag? Richtig, in den Bergen. Also ging es bei Zarnesti noch einmal 10 km Serpentinenwaldweg in das Bergdorf Magura. Bei diesem herrlichen Ausblick und kopulierenden Hühnern unter dem Fenstern verrauchte die Wut etwas. Wir sind im Nebenhaus einer von Deutschen geführten Pension. Um 18 Uhr gingen wir hinüber ins Haupthaus, um Abendbrot zu essen. Thommy ernährte sich nur von saure Gurken und Brot, da er nicht nach veganen Essen fragen konnte oder wollte. Nach dem Essen sprachen wir noch eine Weile mit dem deutschen Besitzerehepaar. Einerseits stellte sich heraus, dass Thommy auch veganes Essen hätte bekommen können und andererseits, dass die beiden, die seit 20 Jahren in Rumänien leben, ziemlich entsetzt von dem Vorfall, besonders vom Hitlergruß, waren. Das hätten sie in 20 Jahren noch nicht erlebt. Die Frau entschuldigte sich sogar noch, als ob es ihre Schuld sei, dass es bekloppte Polizisten in diesem Land gibt. Hier oben ist es so schön, dass man eigentlich getrost noch mehrere Tage bleiben könnte. Da wir aber gezwungen werden, auszureisen, ist das wohl kaum möglich. Christian ist derzeit noch sehr wütend auf dieses Land und will sowieso einfach nur noch heraus hier. Ich kann das verstehen, aber doch ist Rumänien auf jeden Fall eine Reise wert. Wir hatten mal wieder einfach nur Pech, waren zur falschen Zeit am falschen Ort. Hätte, hätte, Fahrradkette. Also bitte nicht abschrecken lassen, Rumänien ist wunderschön und es gibt viel zu entdecken (Donaudelta, Karpaten und,und,und…). Ich hoffe sehr, dass auch Christian mal wieder hierher möchte, denn ich fand, dass wir einfach viel zu wenig Zeit hier hatten.

Für morgen hoffen wir alle nur, dass der Führerschein auch tatsächlich um 10 Uhr abholbar ist. Christian musste ein extra Schreiben aufsetzen, dass er nicht mehr in Rumänien fährt und noch am gleichen Tag ausreist. Danke noch einmal an Joe, der uns den ganzen Wisch auf rumänisch als Vorlage zusendete. Eigentlich wird wohl noch verlangt, dass das Ding vom Notar beglaubigt wird. Wir hoffen so sehr, dass uns diese zusätzliche Zeit und das Geld für den Notar erspart bleibt. Nach so einem Tag wurden natürlich ein paar mehr Bierpullen geleert. Wenn wir dann tatsächlich morgen den Führerschein bekommen, werde ich (hoffentlich ohne weitere Zwischenfälle) dann bis Konstanta fahren und die Grenze passieren. Wir hoffen alles geht gut, so dass wir nach vorne schauen und diesen ganzen doofen Tag (mit Ausnahme des schönen Dorfes hier) ganz schnell vergessen können.

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Links: Rathaus, rechts: kathotlische Stadtpfarrkirche
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evangelische Stadtpfarrkirche 
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Blick in die Unterstadt
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Evangelische Stadtpfarrkirche
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Da hatten wir noch Spaß
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Stadtmauer
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Vor der Polizei
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Ausblick vom Balkon in Magura

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Ein Gedanke zu “11.08.2016 – Ein schwarzer Tag – Von Michelsberg nach Magura

  1. Einen Deal einem rumänischen Polizist anzubieten? Keine gute Idee. Ihr hattet Glück, dass der Korruptionsversuch unbestraft geblieben ist.

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