25.-26.07.2017 Woronesch / Volgograd/ Elista

Früh standen wir am Dienstag auf, um die fast 650 km lange Strecke bis Wolgograd in einem Ritt zu schaffen. Da es in in der Kantinsky noch keine Pelmeni zum Savtrak gab, fuhren wir ohne Frühstück in Richtung Süden und ernährten uns von den Resten den Vortages. Während das arme Gölfchen nach und nach vollgekrümelt wurde, fuhr er uns dennoch reibungslos über wirklich akzeptable Straßen nach Wolgograd. Aufgrund der in einem Jahr stattfindenden Fußball-WM wird gerade unheimlich viel gebaut. Es gibt Baustellen, die sich über 50 km dahinziehen, aber die Straßenqualität komischerweise nicht schlechter, sondern besser machen. Ab und zu wird dann tatsächlich gearbeitet, dann stehen die Arbeiter in Arbeitsschutz-Schlappen oder Arbeitsschutz-Flip Flops da und tragen den heißen Teer auf die Straße auf. Zwei Arbeiter sichern ab, dass immer nur eine Seite durchkommt. Stau – Niente!! Man stelle sich das mal in Deutschland vor – 5 Baustellen in 200 km, da wäre der Megastau vorprogrammiert. Nicht, dass Verkehrsregeln durchweg abzulehnen sind, aber sie machen auch einfach vieles komplizierter, als es sein muss.
In Wolgograd kämpfte sich Christian nach über 7 h Fahrt, von denen ich 1,5 h übernahm, noch durch den Stadtverkehr und dann kamen wir an der Unterkunft an. Für 23 € gab es dieses Mal eine Luxusunterkunft mit Kronleuchtern, in der wir uns wirklich etwas daneben vorkamen. Nach kurzem Ausruhen gingen wir Richtung Wolga, um etwas zu essen. Gehen ist falsch ausgedrückt, denn wir versuchten, einen Teil durch Busse zurückzulegen, was sich aber aufgrund fehlender Netzpläne etwas schwierig gestaltete. Am Ende kamen wir dann doch am Restaurant an und ließen uns Hering, Salat, Fischsuppe und zwei verschiedene Sorten Pelmeni schmecken. Im Supermarkt gab es dann noch zwei Wegbier für den Rückweg.
Am nächsten Tag schliefen wir etwas länger, frühstückten im Hotel (wie deplatziert kann man noch wirken, wenn die Kellnerin mit weißen Handschuhen und ständigen Knicksen daher kommt) und fuhren dann in Richtung Mamajev-Hügel. Nachdem wir Ostern an der Westerplatte in Gdansk schon den Ausgangspunkt des Zweiten Weltkrieges besichtigt hatten, standen wir nun an einem Ort, an dem dieser einen entscheidenden Wendepunkt erlangte. Stalingrad war nicht nur aufgrund des Namens ein wichtiger strategischer Punkt, sondern sollte auch den Weg zu Erdölquellen auf dem Kaukasus frei machen. Besonders auf dem Mamajev-Hügel, der über Stalingrad thront, wurden im September 1942 Materialschlachten um jeden Zentimeter Landgewinn ausgetragen. Schätzungsweise 30.000 Soldaten sollen an diesem Ort gefallen sein.
Im Jahre 1976 wurde hier als Erinnerung die Statue „Mutter Heimat ruft“ eingeweiht. Hierbei handelt es sich um eine nach Soldaten rufende 82 m hohe und 8000 Tonnen schwere Statue, welche damit die größte Frau der Welt und eine der größten, freistehenden Statuen überhaupt ist. Als wir die Treppen bei 37 Grad zum Denkmal hinaufstiegen, begleiteten uns immer wieder in Stein gehauene Bilder der russischen Helden, teilweise verbunden mit heroischer Militärmusik. Bevor man den Sockel der Statue erreicht, betritt man rechter Hand einen Rundbau, in dem rundherum die Namen von 7200 Soldaten eingraviert sind. In der Mitte brennt eine ewige Flamme. Um 11 Uhr, als wir ankamen, war gerade Wachablösung. Ein komisches Gefühl, inmitten von russischen Touristen zu stehen, die rote Nelken niederlegten, während die Soldaten im akkuraten Stechschritt abmarschierten und ihre Schritte wie Kanonenschüsse im Pantheon widerhallten. Ein weiteres Element der Gedenkstätte ist ein Gedenkpark, in dem man einige Gräber und eine scheinbar nie endende Wand mit weiteren eingravierten Namen findet.
Alles in allem hinterlässt der Besuch auf dem Mamajev-Hügel einen nachdenklich. Es ist eine beeindruckende Gedenkstätte, aber die Art von Gedenken ist für uns als Historiker ungewöhnlich. All die Heroisierung der gefallenen Soldaten hinterfragt nicht die allgemeine Sinnlosigkeit des Krieges oder russische Kriegsbeteiligung. Auch das Leid und der Verlust an Zivilisten wird vernachlässigt. Ein reflektierter Umgang mit der Geschichte war jedenfalls nicht das Ziel, was aber angesichts der politischen Verhältnisse und der Frische der Wunden des 2.Weltkrieges zur Erbauungszeit erklärbar ist.
Auf dem Weg nach Süden fuhren wir noch am Beginn des Wolga-Don-Kanals vorbei. Ein riesiger, stalinistischer Torbogen markiert den Eingang des bis 1952 (hauptsächlich von Zwangsarbeitern) erbauten Kanals, der seitdem Wolga und Don zusammen führt und damit eine Verbindung vom Kaspischen Meer zum Schwarzen Meer bildet.
Auf der weiteren, etwa 300 km langen Strecke zwischen Volgograd und Elista änderte sich die Vegetation drastisch. Grüne Landschaften und Bäume wichen einer kargen beige-olivgrünen Steppenlandschaft. Auch die Menschen veränderten ihr Aussehen. Ein sehr asiatisch aussehender Tankwart, etwa 80 km vor Elista, rezitierte für uns Heinrich Heine und entschuldigte sich auf deutsch für die Rückständigkeit seiner Tankstelle. Warum diese Veränderungen? Rund um Elista liegt das Gebiet Kalmückien. Die in diesem Gebiet lebenden Menschen, die Kalmücken, siedelten sich als einst mongolischer Nomadenstamm nach längerer Völkerwanderung in diesem südwestlichen Teil von Russland an. Sie brachten nicht nur eine eigene Sprache mit (die neben dem russischen existiert), sondern auch die buddhistische Religion. Das kalmückische Volk ist das einzige in Europa, das mehrheitlich einen buddhistischen Glauben verfolgt.

Angekommen in Elista, legten wir nur unser Zeug in der Unterkunft ab und streiften durch die Stadt. Während wir an buddhistischen Gebetsmühlen und Tempeln vorbeigingen, fühlten wir uns wirklich, als wären wir ein paar tausend Kilometer weiter östlich und nicht mehr in Russland. Zum Essen gab es dann einen Mix aus kalmückischen und russischen Spezialitäten. Salat und „Rasnosoly“(sauer eingelegtes Gemüse —> bestes Essen zum Wodka), eine Art Cevapcici aus Kamelfleisch, „Chursn-Machn“ ein kalmückisches Gericht aus Nudeln, Hammel und Dill und Bjoreki, die kalmückischen Pelmeni. Dazu viel russisches Bier und für jeden von uns „sto gramm“ Wodka. So gestärkt gingen wir noch in einen Pub namens „Praha“. Man muss sich das mal vorstellen. Man sitzt als Deutscher in Russland mit ein paar asiatisch aussehenden Kalmücken in einem tschechischen Bierkeller. Die Verwirrung ist perfekt! Aber so soll es auch sein, denn Einheitsbrei gibt es ja schließlich schon genug.

 

dav
Auf dem Weg nach Wolgograd
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Unser Reisemaskottchen
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Für alle nicht der russischen Sprache mächtigen – Volgograd Ortseingangschild
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Volgograd bei Nacht – Lenin hier und Lenin da
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Pelmeni und Wareniki
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Heimweg zur Unterkunft oder aber Weg nach Moskau – so weit die Füße tragen
cof
Ein bisschen Dekadenz muss schon sein – Frühstück im 24 € -Hotel in Volgograd
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Mamajev-Hügel – heroische Steinstatuen überall
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Mutter Heimat ruft!

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Gedenkpantheon mit ewiger Flamme
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Gedenkpark hinter der Mutter Heimat-Statue
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Auf dem Weg nach Elista – kilometerweite Steppenlandschaft
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Elista oder doch Tibet?

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Herrengedeck in Russland
dav
Hier trennen sich unsere Wege – ich fahr mit BMW weiter
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Schmuddelwetter in Deutschland? Nicht mit uns!!

 

 


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