Heute früh schellte wieder zeitig der Wecker, denn wir wollten ein ziemlich langes Stück Strecke bewältigen. Über das Ziel der Fahrt waren wir uns nicht ganz einig. Wir überlegten, ob wir die Grenze noch abends nach über 500 km Fahrt bewältigen sollten und damit keinen Tag verschwenden würden, oder in Wladikawkas übernachten sollten, um dann frisch in den Tag zu starten. Da Wladikawkas in der zu Russland gehörenden Republik Nordossetien-Alannien gehört, einer Region, von der im Auswärtigen Amt eine Reisewarnung vorliegt, waren wir uns etwas unsicher und wollten erst einmal schauen, wie wir durchkommen. Erst einmal deckten wir uns auf dem verschlungenen Markt von Elista mit Nahrungsmitteln ein. Wir erworben Honig, der stark nach Fenchel schmeckte, sauer eingelegte Gurken, Himbeeren, Kirschen, Tomaten, Gurken und im Erdofen hergestelltes Fladenbrot. Und natürlich Voda, was nach dem ganzen Wodka gestern nun wirklich notwendig war.
Die Straßen bis zur Grenze waren teils sehr gut – zweispurig mit Fahrbahnmarkierung und Leitplanken und teils unterirdisch schlecht – 15 km feinster Feldweg. Auf der Fahrt durchfuhren wir zwei Militärposten. Der eine gehörte zu Karbadino-Balkarien, der andere zu Nordossetien-Alannien. Schon einmal gehört? Nein? Kein Ding, wir vor der Reise auch nicht. Tatsächlich gibt es in der Kaukausregion eine ganze Reihe an größtenteils zu Russland gehörenden Republiken mit eigener Sprache und Kultur, von denen die bekannteste wahrscheinlich Tschetschenien ist. Zu tun hat das meist mit den vielen Völkern, die im 20. Jahrhundert oder noch früher auf dem Kaukasus herumgeisterten und auch in der Sowjetunion weiterbestanden. Alles in allem ist das aber eine ziemlich verworrene Geschichte, die hier einfach den Rahmen sprengt. Die Grenzposten ließen uns aber soweit in Ruhe, beziehungsweise sich wieder mit groß angelegten Bestechungsgelder (68 Cent und 34 Cent) gütig stimmen.
Einen Halt auf der Strecke machten wir in Beslan. Hier erstürmten am 01. September 2004, am Tag des Schulanfangs, tschetschenische Terroristen eine Schule in der nordossetischen Stadt, in der sich zu dieser Zeit etwa 1100 Kinder und Erwachsene befanden. Die Geiselnahme dauerte 3 Tage an und wurde in einem Gewirr aus Zuständigkeiten von Ordnungskräften fatal beendet. Noch heute ist ungeklärt, ob die hohe Anzahl an Toten bei der Erstürmung durch die Sicherheitskräfte oder die Terroristen selbst zustande kam. Nach offiziellen Angaben starben 385 Menschen, darunter ein großer Anteil Kinder. Die meisten davon kamen um, als das Dach der Turnhalle, in der die Geiseln festgehalten wurden, kollabierte.
Eben diese Turnhalle wurde 2014 zu einer Gedenkstätte umgewandelt. Die Balken der Turnhalle wurden verstärkt und eine Art golden schimmernder Rundbau darum gebaut. Es ist kaum vorstellbar, was die zu hunderten in der Turnhalle zusammengedrängten Geiseln in diesen 3 Tagen durchmachten. Offene Wasserflaschen an der Gedenkstätte erinnern daran, dass den Geiseln Zugang zu Trinkwasser, Nahrung oder medizinischer Versorgung verweigert wurde. Teddybären an den zerstörten Fenstern und die Bilder der vielen Kinder hinterlassen Fassungslosigkeit. Etwas abseits der Stadt befindet sich der Friedhof der Stadt, in dem separat die Toten der Geiselnahme bestattet wurden. Die endlosen weinroten Grabstätten, jedes mit einem Bild der Opfer bleiben vor allem als Zeichen des totalen Versagens der Behörden. Eine Statue auf dem Friedhof stellt eine Frau als Symbol für die Erde dar. Kinder steigen von dieser aus in den Himmel auf, werden aber noch immer festgehalten. Ob eine tatsächliche Aufarbeitung der Geschehnisse, inklusive darauf folgender Konsequenzen stattfindet und die Hinterbliebenen dadurch vielleicht ein bisschen besser ihre Angehörigen gehen lassen können, bleibt fraglich.
Wir fuhren weiter bis Wladikawkas und entschieden dort mit einigen Hin und Her die Grenze schon an diesem Abend zu bewältigen. Nicht wegen der Lage in Nordossetien, diese ist gerade soweit stabil, sondern weil wir keine Lust hatten, einen neuen Tag mit Grenzwartereien zu beginnen. Hinter Wladikawkas verwandelte sich die bisher nur leicht hügelige Landschaft in eine riesige Bergwand, die sich vor uns auftat. Der große Kaukasus erhebt sich aus dem Nichts in den Himmel. In der Abenddämmerung fuhren wir durch die beeindruckende Bergwelt, bis der Stau an der Grenze uns aufhielt. Dieses Mal ließen wir uns einfach nicht stressen, sondern schauten auf dem Laptop eine Doku über den Kaukasus und lasen uns Witze vor. Trotz des verhältnismäßigen großen Rückstaus, ging es (für russische Verhältnisse) blitzschnell voran. Auch verzichteten sie dieses Mal großzügigerweise auf das Ausladen sämtlichen Gepäcks und merkwürdige Formulare. Gerade die jüngeren Grenzbeamten zeigten sich beeindruckt, dass wir den ganzen Weg hierher gefahren sind und wünschten „Alles Gute“! Nach ein, zwei Kilometern Niemandsland tauchte der sehr moderne georgische Grenzübergang vor uns auf. Hier musste ich im Gebäude durch die Passkontrolle, während Christian draußen die Kontrolle mit dem Auto vollzog. Während ich wiederkam, versuchte dieser gerade einem georgischen Grenzbeamten klar zu machen, dass wir wirklich keine Schätze, sondern nur Chaos im Auto haben. Alles in allem brauchten wir für diese Grenze lässige 2,5 h. Als erfahrene Warter konnten wir darüber nur milde lächeln.
Erst 23 Uhr (Ortszeit +2 h von Deutschland) fuhren wir in Stepanzminda (auch Kazbegi genannt) ein und suchten einfach irgendeine Unterkunft. Da es kein Essen mehr gab, kochte ich auf dem Zimmer mit dem Gaskocher die schlechtesten Nudeln mit Tomatensauce meines Lebens. Mit (entschuldigt die Wortwahl) beschissenen ukrainischen Nudeln, Tomatenmark und Pfeffer hätte aber auch Bocuse nichts besseres hinbekommen. Da habe ich echt schon tausendmal bessere Nudeln mit Tomatensauce gegessen. So aßen wir nach dem Motto „Der Hunger treibt´s rein und der Geiz behält´s drin“ und fielen wie ein Stein ins Bett.









