Heute ging es wieder früh los, denn vor uns lagen annähernd 400 km Strecke. Das ist natürlich kilometermäßig für uns ein Klacks, doch es sollte hoch in die Berge Swanetiens (Nord-Westgeorgien) gehen, was die Fahrzeit verlängerte. Voller Enthusiasmus starteten wir. Wir waren schon eine halbe Stunde gefahren, da klingelte Christians Handy mit einer georgischen Nummer. Wir wunderten uns zwar, aber ich ging mal ran. Wir hätten in der Unterkunft eine Tüte mit dem Reisepass liegen lassen. Noch ganz kurz hatte ich die Hoffnung, dass es nicht meine sein mögen, die da fehlten. Unter bitterbösen Blicken Christians und schlechten Gewissen meinerseits mit dem Leitspruch meiner Mutter im Kopf: „Kind, nimm doch endlich die Gedanken zusammen!“, mussten wir wieder zurückfahren. Selbst die Gasteltern schimpften ein bisschen freundlich mit mir. Nach der verschwendeten Stunde und vielen Versprechungen, die Chaosqueen zukünftig etwas weniger schalten und walten zu lassen, waren wir dann wieder auf der Strecke.
Kurz vor Poti an der Schwarzmeerküste bogen wir von der größeren Straße auf den Weg hoch nach Swanetien ab. Über 1400 m über dem Meeresspiegel gelegen, war Swanetien mit der Provinzhauptstadt Mestia einst ein von Touristen ziemlich unberührtes, ursprüngliches Gebiet. Aber wie das immer mit Geheimtipps ist, irgendwann kommen die Touristen doch, das Gebiet entwickelt eine Infrastruktur (was natürlich auch für die Locals gut ist), dann kommen mehr Touristen und im schlimmsten Falle verliert das Gebiet jegliche Traditionen und Ursprünglichkeit, weswegen die Touristen eigentlich gekommen sind. Wir wollten uns selbst einen Eindruck machen und vor allem die Natur genießen, die als umwerfend beschrieben wurde.
Viel mehr Natur sahen wir gleich am Anfang der Straße, denn die Kühe-auf-Straßen-Rate, die im Kaukasus eh schon hoch ist, nahm noch weiter zu. Dazu gesellten sich ein paar Schweinchen, Esel und Pferde. Warum diese die Straßen den saftigen Wiesen daneben vorziehen, ist uns bis jetzt vollkommen unklar. In Serpentinen schraubte sich die Straße neben schroffen Felsen in die Höhe, bis wir an den Enguri-Stausee kamen. Der Ausblick über das tief türkisblaue Wasser war unbeschreiblich. Noch mehr verdient hatte sich diesen Josh, der mit dem Rad von Großbritannien hier her gefahren war und dabei wahrscheinlich einen Zehnjahres-Vorrat an Sunblocker geleert hatte.
Nachdem wir uns gegenseitig viel Glück gewünscht hatten, ging es weiter hoch in die Berge. An einer Buchte kurz vor Mestia dann ein paar Radfahrer und eine Offroad-Version eines Hyundai H1 mit Münchener Kennzeichen, das erste Auto mit deutschen Kennzeichen in ganz Georgien und Armenien. Schon beim Einfahren kam einstimmig aus allen Mündern ein scherzhaftes: „Oh nein, nicht noch mehr Deutsche!“. Die Radfahrer waren in Leipzig (was dialektal ein extremes Heimatgefühl in mir auslöste 😉 ) gestartet und fuhren nun bis Aserbaidschan und von da mit Zwischenflug noch durch Usbekistan. Die Münchner waren mit dem Auto in Australien gewesen und hatten dieses gerade wieder zurück nach Europa verschifft. So standen wir völlig ungeplant noch eine Stunde hier und tauschten Fernweh aus, bevor wir uns auf den Weg machten, da es jetzt schon dunkelte.
Angekommen im Guesthouse wurden wir gleich vom Gastvater herzlich begrüßt, der fließend deutsch sprach. Er hatte ein Jahr in Deutschland gelebt, um die Sprache zu lernen. Irgendwie hat man das Gefühl, man trifft außerhalb von Deutschland auf zwei Möglichkeiten – entweder nicht einmal Englisch oder unfassbare Sprachgenies, vor denen man sich fast wegen der eigenen begrenzten Sprachfähigkeit schämt. Mit einem Bärenhunger aßen wir dann Khinkali, Schaschlik und Salat und dann ging es nach der langen Fahrt gleich in die Heia.


