Auf dem Weg zur letzten Grenze erwartete uns ein böses Omen. Jemand war scheinbar mit einem LKW in eine ganze Herde Schafe hinein gefahren, die nun tot oder halb tot auf der Straße lagen. Vom Fahrer war keine Spur zu sehen.
Tatsächlich kamen wir an der Grenze natürlich wieder in die Mittagspause. Gut war, dass auch eines der drei rumänischen Teams in ihrem Lada mit uns warteten. Als es dann endlich losging, verlief die Ausreise aus der Mongolei doch im Vergleich zur Einreise verhältnismäßig zügig. Noch ein letztes Mal wurden wir von dem wohl freundlichsten Grenzbeamten angeherrscht, nicht bei der Ausreise zu reden und mit einem Blick, welcher selbst den Gaskrater in Derweze zugefroren hätte, drückte er uns den Stempel in den Pass. Doch unsere Lieblingsgrenze kam ja noch. Und wie kann man sich richtig beliebt machen, wenn man zum dritten Mal in Russland innerhalb eines Jahres einfährt? Wir haben zwei gute Wege gefunden. Dass die Rumänen ständig nur mit Anschieben ein Stück weiter im Grenzbereich kamen und sie dazu auch noch aussteigen mussten, erfreute die Grenzbeamten schon wahnsinnig. Doch als dann noch Christian dabei erwischt wurde, wie er in den Grenzbereich schiffte, war der aufmerksame Grenzbeamte hoch erfreut und gab Christian den lieblichen Kosenamen „Schwanz“. Innerhalb der Gebäude hatte sich unser rüpelhaftes Verhalten scheinbar noch nicht herumgetrommelt, so dass sie uns außer des üblichen Papierkriegs und ständigen Hin und Her in Ruhe ließen. Während die Grenzbeamten unser Auto zum Schluss noch gründlich mit Hund Marke „Deutscher Schäferhund“ auseinandernahmen, gesellte sich auch wieder Fernando, der spanische Motorradfahrer zu uns, den wir seit Ölgi nicht mehr gesehen hatten. Mit einem großen Hallo verabredeten wir uns für die Mongol-Rally-Party, die in zwei Tagen in Ulan Ude stattfinden sollte.
Wir atmeten auf. Zwar hatte uns der Grenzübergang wieder über 4 h Zeit unseres Lebens gekostet, aber es war nun auch der letzte Grenzübergang. Etwas Wehmut machte sich aber auch breit. Der letzte Grenzübergang, das hieß, dass es jetzt auch viele andere letzte Male geben würde. Schon die letzten Tage waren von diesen Gedanken überzogen gewesen. Nun waren es nach zwei Monaten 17000 Kilometer und so richtig fassen, wo wir waren, konnten wir es gar nicht. Beim letzten Mal zelten in der Mongolei hatte ich das Google Maps geöffnet und wir hatten beide mit Erschrecken festgestellt, dass wir auf der Höhe von Hanoi in Vietnam sind. Viele haben bei unseren Roadtrips gesagt, ob wir denn bescheuert sind, so viele Kilometer mit dem Auto zu fahren. Ganz ehrlich, man merkt es nicht, wenn man so von Tag zu Tag ein Stückchen weiter fährt und plötzlich ist man dann halt da, wo andere nicht mal eine Sekunde nachdenken würden, ob sie da mit etwas anderen als einem Flugzeug hingelangen könnten. Klar muss man das Fahren mögen. Wir haben nicht ein einziges Mal gedacht: „Man, jetzt schon wieder fahren!“. Man kann auch aus dem Extremen ein Stück Alltag machen, wenn man Lust darauf hat.
Kaum waren wir wieder in Russland, da machten sich auch die russischen Landschaften voller grüner Birkenwälder wieder breit. Schon lange kommt uns bei dem Wort „Russland“ statt der üblichen Klischees Wodka und Kalaschnikow eher Weite, Birkenwälder und natürlich der Stolz der russischen Automobilindustrie, der Lada, in den Sinn. Noch rund 200 km genossen wir die Weite im Sonnenuntergang, dann im Dunkeln ein kleines, unauffälliges Schild „Ulan Ude“. Kein riesiges Stadtschild, kein Tor, kein Nichts. Und trotzdem waren wir da, in der Stadt, in der die Mongol Rally enden sollte. Die Ziellinie war für heute schon zu, deshalb fuhren wir erstmal ins Hostel. Bei riesigen Hunger gingen wir ins nächste Restaurant erstmal eine riesige Portion Sushi essen. Träumten wir oder waren wir wirklich hier im östlichen Sibirien, noch 4400 km weiter östlich als Moskau? Sollte es hier wirklich enden?
Erst am nächsten Tag fuhren wir kurz nach Mittag in das Stadtzentrum. Aufgrund des Stadtfestes waren etliche Straßen gesperrt. Immer nervöser wurden wir. Nun wollten wir endlich auf die Bühne, welche die Ziellinie hier in Ulan Ude symbolisiert. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatten wir endlich die einzig freie Straße gefunden. Unter Jubeln der anderen Teams, die auch gerade da waren, bewältigte Flipper zwei Tage vor Schluss der Ziellinie den letzten steilen Anstieg auf die Bühne und oben waren wir. Diesen Moment hatten wir nicht nur uns, sondern auch Flipper sich redlich verdient. Wir lobten ihn noch oben in den höchsten Tönen, wie gut er uns begleitet hatte. So gut, dass nicht einmal ein Reifen einen Platten gehabt hatte. Doch das war scheinbar zu viel des Lobes. Beim Herunterfahren von der Bühne zischte es verdächtig und unter dem Gelächter aller stellten wir fest- wir hatten unseren ersten Platten auf der gesamten Mongol Rally. Wir verziehen Flipper dieses divahafte Gehabe, wechselten sogleich den Reifen und warteten dann auf den Zebrawagen, der bald eintreffen sollte. Währenddessen wurden wir von den Veranstaltern gefragt, was wir mit dem Auto machen wollen. Und- wir wussten es nicht. Die letzten Tage tat uns das Herz so weh, dass wir überlegten, von unserem eigentlichen Plan des Verschiffens von Flipper nach Estland abzuweichen und ihn einfach selbst in die EU zurückzufahren. In Russland kann man kein Auto verkaufen, da man dann Zollgebühren von circa 10000 € bezahlt. Bei einem Autowert von 700 € ist das sicher keine Alternative.
Erstmal riss uns der Zebrawagen mit Elina und Herrmann aus den Gedanken, der um die Ecke bog. Mit Champagner wurde das Ankommen gefeiert. Nach etlichen Bildern gingen wir ein Stück weiter zum Hauptplatz, wo sich Ulan Udes größte Sehenswürdigkeit befindet. Mit einer Höhe von 7,70 m und einem Gewicht von 42 t steht da die Statue des weltgrößten Gesichts der Welt. Der „Nischl“ in Chemnitz würde erblassen, wenn er in dieses Gesicht blicken würde. Wer die Blogs verfolgt hat bzw. Russland etwas kennt, wird unschwer erraten können, um welches Antlitz es sich hier handelt. (Alle anderen können unten in den Fotos mogeln 😉 )
Nach all dieser Aufregung kochten wir uns erstmal in Hostel ein paar Nudeln mit Pesto und vertrieben uns dann die Zeit bis zum Abend, an der die letzte allwöchentliche Mongol-Rally-Party steigen würden. In einer Bar etwas außerhalb des Zentrums trafen dann alle Rallier, die auch die Zeit bis zum Letzten in vollen Zügen ausgenutzt hatten, so nach und nach ein. Jeder kann sich denken, dass so viele Verrückte, die alle mehr als 15.000 km in einer mal mehr oder weniger zuverlässigen Schrottkarre gefahren, bzw. bis zur Ziellinie abgeschleppt worden waren, nun einiges zu feiern hatten. Leider können wir uns an Details dieses Abends nur noch spärlich erinnern. Der einzige Grund dafür kann nur sein, dass der russische Geheimdienst jegliche Informationen über diesen denkwürdigen Abend aus unseren Gehirnen gelöscht haben muss.
Früh wachten wir jedenfalls gesund in unseren Bettchen auf und hatten nur bis zum nächsten Abend mit den Folgen der Geheimdienst-Gehirnlöschung zu kämpfen.
Diese Löschung betraf jedenfalls auch den Gedanken, Flipper nach Estland in die EU zurückzufahren. Obwohl er es mit Sicherheit geschafft hätte, sprachen nicht nur das immer kälter werdende Wetter dagegen, sondern auch die Zeit, die wir eigentlich für andere Länder gedacht hatten. Außerdem wäre es doch komisch gewesen, wieder soweit in den Westen zu fahren, wenn man doch eigentlich in Asien weiter reisen will. Also fuhren wir am 09. September noch einmal zur Ziellinie und regelten schon einmal etwas von dem Papierkram, der zur Verschiffung notwendig war. Spätestens als wir für den nächsten Tag einen Zug nach Irkutsk und einen Weiterflug von dort aus buchten, wurde der Gedanke, dass es nun bald ans Abschied nehmen ging, kaum noch zu verdrängen.
Als wir am 10. September früh aufwachten, war wohl unser beider erster Gedanke: „Heute ist der Tag des Abschiednehmens.“ Dieser fing für uns so an, dass wir das komplette Innenleben des Autos in unser 10 Quadratmeter-Hostelzimmer räumten. Die Mission lautete nun- packe das bis zum Umfallen vollgeladene Auto in insgesamt vier Rucksäcke. Dazu wurde aufgeteilt, was weggeschmissen, was verschenkt oder gespendet und was wirklich mit musste. Nach ein paar kleineren Krisen, dass das, was mitmuss, immer noch viel zu viel ist, schlossen sich mit ein bisschen Stopfen und Umpacken doch alle Rucksäcke. Netterweise nahmen auch Elina und Herrmann, die zurück fahren wollten, noch ein paar Sachen mit, von denen wir uns nicht trennen konnten, aber die wir auch wir nicht mitnehmen wollten. Ein australisches Team, das zwar keine hintere Windschutzscheibe hatte, konnte sich dank uns wenigstens stolzer Besitzer eines neuen Radios und einer neuen ultralauten Hupe nennen. Um 11 Uhr fuhren wir zu einer Garage, an der alle Mongol-Rally-Teams übrig gebliebenes Zeug von Wert spenden bzw. den Rest entsorgen konnten. Eine halbe Stunde später bot sich ein komisches Bild. Flipper war außer eines Ersatzreifens komplett leer. Nur noch die Krümel, der Staub und der Dreck zeugten davon, dass er die letzten zwei Monate unser Zuhause und engster Vertrauter gewesen war. Es ist wahr, es ist ein Auto, ein austauschbarer, materieller Wertgegenstand. Wir sind nie die gewesen, die materiellen Dingen irgendeinen sentimentalen Wert zugesprochen hätten, aber das war etwas anderes. Wir haben anfangs so schlecht von dieser Franzosenkarre geredet, haben gezweifelt, dass er es überhaupt aus Deutschland heraus schafft und am Ende hat er (mit einigen kleinen Schwächen) so viel mehr geleistet. Er hat uns gekühlt und gewärmt, immer weiter getragen und im Vergleich zu manch anderen Mongol-Rally-Auto nur wenig Sorgen bereitet.
Als wir noch ein paar Kilometer weiter zum Platz fuhren, von wo aus die Autos auf den Zug geladen wurden, drehten wir erst einmal eine Runde. Reihen voller diesjähriger Mongol-Rally-Autos, manche noch gut in Schuss, andere vollkommen desolat und wieder andere, die eh nur verschrottet werden sollten, mit Absicht vollkommen zerstört. Nein, das würden wir Flipper nicht antun. Wir parkten ihn inmitten einer Reihe und gingen den Papierkram ausfüllen. Danach brauchten wir noch einige Zeit, um uns zu verabschieden. Wir setzten uns ein letztes Mal ins Auto und vervollständigten unsere Statistik, die wir über die Zeit an der Sonnenblende angefertigt hatten, zum letzten Mal.
Nach 60 Tagen, 17 Ländern, 20 Grenzen, 4 Mechanikerbesuchen, 24 Polizeikontrollen und ganz genau 17.304 Kilometern war die Mongol Rally für uns vorbei.
Wir wurden an der Ziellinie spontan gefragt, die Mongol Rally in drei Worten zu beschreiben. Uns fiel dazu nur ein: „Extrem, verrückt – und ein bisschen qualvoll“. Wir hatten Spaß, Abenteuer und vor allem unvergessliche Erlebnisse. Nicht immer war es einfach, aber so sollte es ja auch nicht sein. Es ist schwer, vor allem die Gefühle und die Eindrücke auf der Rally vollständig in Worte zu fassen. Auch wir werden einige Zeit brauchen, um so viele Erlebnisse in zwei Monaten zu verarbeiten.
Wir klopften ein letztes Mal Flipper auf die Motorhaube und wünschten ihm eine gute Fahrt. Noch ist ungewiss, was in Estland mit ihm passiert, wenn er dort im November ankommt. Wenn wir auch weiterhin keinen finden, der ihn dort abholt, geht der Gute leider in die Schrottpresse.
Wie verloren stiegen wir dann in die Marschrtuka in Richtung Stadtzentrum von Ulan Ude. Passend zu unserer Stimmung fing es natürlich noch an zu regnen. Auch Sushi am Abend konnte uns nicht davon ablenken, dass nun kein fahrbarer Untersatz uns mehr begleiten würde.
Am Abend stiegen wir dann das erste Mal in unserem Leben in die Transsibirische Eisenbahn, um nach Irkutsk zu kommen. Früher hatte ich mir diese immer wie ein Zug aus dem Orient vorgestellt- mit Rauch, samtbezogenen Polstern und Kaviar und Champagner satt. Tatsächlich ist die Transsib auch nur ein normaler Zug, in unserem Fall mit einem Schlafabteil, das wir uns mit dem muslimischen Ahmed aus Dagestan teilten. So schließt sich der Kreis also wieder. Im Nebenabteil saß ein russischer buddhistischer Mönch. Wie ich schon mal erwähnte- Russland ist doch facettenreicher als die üblichen Klischees, welche man von diesem Land kennt.
Nach einer ruckeligen, aber einigermaßen entspannten Nacht kamen wir am Bahnhof in Irkutsk an. Noch war es früh am Morgen. Wir beschlossen tatkräftig gleich den Tag zu nutzen und brachen mit dem öffentlichen Bus nach Listwjanka. Dies ist von Irkutsk die am besten zu erreichbare Stadt am Baikalsee. Gerne hätten wir uns noch mehr angeguckt, aber das Wetter und das fehlende Auto sagte uns, dass dies besser auf einen weiteren Besuch des Baikalsees verschoben werden sollte. Auch an diesem Tag präsentierte sich das Wetter nämlich Grau in Grau, was das Baden im eh schon ganzjährig etwa 10 Grad kalten See nicht gerade attraktiv machte. So begnügten wir uns damit, ein bisschen an der Uferpromenade des siebtgrößten und tiefsten Sees der Welt umher zu spazieren, noch warmen, geräucherten Omul (eine lokale Art des Lachses) zu essen und Tee zu trinken. Wir saßen gerade bei unserer zweiten Tasse Tee und schauten auf den See heraus, da kam der Zebrawagen vorbei. Das gibt es doch gar nicht, dachten wir. Leider sahen Elina und Herrmann nicht, dass wir ihnen geschrieben hatten und so muss ein Wiedersehen wohl erst auf nächstes Jahr nach unserer Rückkehr verschoben werden.
Am Nachmittag machten wir uns wieder auf den Rückweg und ließen den letzten, vollen Tag in Russland noch in einer richtig, typischen russischen Kantine bei Soljanka und Pelmeni ausklingen.
Am nächsten Tag hieß es dann auch zum dritten Male in diesem Jahr Abschied von Russland zu nehmen. Eine echte Wohltat für die Seele war die Ausreise, die ohne Auto so viel einfacher verlief. In ein paar Stunden würden die Temperaturen beträchtlich ansteigen. In Malaysia, was wir uns für ein paar Tage Entspannung ausgeguckt hatten, sind sibirische Temperaturen gänzlich unbekannt. Mit kurzer Hose im Handgepäck winkten wir ein letztes Mal „Mütterchen Russland“ und sagten „Daswidanje“- auf ein baldiges Wiedersehen.



















Na eeendlich wieder ein Lebenszeichen!! Habe schon das Schlimmste befürchtet!
Gruß und viel Spaß auf der nächsten Reise!
Sybille
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