Am 26.10. war ich dann nach viel zu langer Abstinenz wieder on the road. Was für ein fantastisches Gefühl! An diesem Tag fuhren der Franzose Thibault und ich von Ha Giang bis Yen Minh. Die Strecke von nur 99 KM ließen wir ganz ruhig angehen und hielten ziemlich häufig für einen Fotostopp. Meine geliehene Honda Esperow mit 127 ccm machte im Vergleich zu meiner in Berlin stehenden S51 ordentlich Druck und ermöglichte eine Spitzengeschwindigkeit von bis zu 80 Km/h. So schnell kann man auf dem Ha-Giang-Loop allerdings selten bzw. nur am Ortsausgang von Ha Giang fahren.


Kurz nach der Stadt begannen dann die Serpentinen und die schmalen einspurigen Straßen. Die vielen toten Motorradfahrer, die auf dem „Loop“ ihr Leben gelassen haben, sind Zeugen von der Gefährlichkeit der Strecke, auf der man sich auch mit einem relativ leistungsschwachen Zweirad gut totfahren kann. Die Nachricht, dass erst Anfang der Woche ein Touristenpaar ihr Leben auf dem Loop verloren hat, ließ uns noch vorsichtiger fahren. Am Abend hatten wir ein Family-Dinner, bei dem ganz verschiedene Köstlichkeiten auf den Tisch gestellt werden und jeder sich das nehmen kann, wovon er etwas möchte. Wir lernten einige andere Backpacker kennen, darunter auch ein Amerikaner, der nach dem ersten Tag entschied, abzubrechen und mit dem Bus zurück zu fahren. Der arme war kreidebleich und wohl einfach nicht fürs Motorradfahren gemacht. Aber besser so, als wenn man ihn irgendwo von der Straße kratzen müsste. Nach einem 2:1 verlorenen Billardturnier gegen Thibault gingen wir ins Bett.


Am nächsten Tag fuhren wir weiter nördlich nach Lung Cu. An diesem Ort markiert Vietnam mit einem riesigen Flaggenmast, der auf einem Turm steht, der sich wiederum auf einem Berg befindet, seine nördliche Grenze zu seinem übermächtigen Nachbarn China. Die Grenzstreitigkeiten der 1980er Jahre sind heutzutage offiziell beigelegt, auch wenn es immer noch zu unerlaubten Grenzübertritten und den damit einher gehenden Provokationen von beiderlei Seiten kommt. Auch wir versuchten dem großen Drachen noch näher zu kommen und fuhren zum nördlichsten Punkt Vietnams.


Vor allem Thibault war ziemlich beeindruckt und wir fuhren weiter nach Dong Van, wo wir an diesem Tag eigentlich übernachten wollten. Wir setzten uns in ein Restaurant, aßen eine Suppe und checkten auf Booking unsere Möglichkeiten aus. Wie wir feststellen mussten, waren diese nicht besonders zahlreich und wir hatten eigentlich nur die Wahl zwischen megateuren Hotel oder schimmligen, ratttenverseuchten Kellerloch. Kurzerhand beschlossen wir weiter in das 14 Km entfernte Meo Vac zu fahren, wo wir ein nettes Hostel gefunden hatten. Es war bereits 17:15 Uhr und in 30 Minuten würde es stockdunkel sein. Die von Booking angegebenen 14 Kilometer entpuppten sich im Nachhinein als Luftlinie und die Straßendistanz bis Meo Vac betrug im Ende 25 Kilometer, für die Google mindestens eine Stunde Fahrtzeit angab. Also nichts wie los, möglichst schnell und trotzdem möglichst vorsichtig. Das sind allerdings zwei Dinge, die nicht so richtig zusammen gehen. Denn plötzlich war das Licht im Rückspiegel verschwunden. Ich hielt an und wartete – zu lange. Bereits da war mir klar, dass etwas passiert sein musste, also drehte ich in schlimmster Befürchtung. Nach einigen Metern kam mir Thibault entgegen, völlig schlammverschmiert auf der linken Seite. Er kam in der Eile leicht von der Straße ab und verlor auf dem schlammigen Untergrund die Kontrolle über sein Moped. Nach dem ersten Sturz versuchte er sich zügig wieder aufzurappeln und schnell weiter zu kommen, geriet allerdings auf der anderen Straßenseite wieder in den Matsch und stürzte ein zweites Mal. Außer kleinen Schürfwunden an Ellbogen und Knöchel ist ihm aber zum Glück nichts passiert. Das Moped hatte nur einen weiteren dicken Kratzer erhalten. In dem Bewusstsein, dass das auch wirklich dumm ausgehen hätte können, fuhren wir vorsichtig weiter und wendeten unseren Blick nicht von der Straße ab, auch wenn die Silhouette dieser beeindruckenden Landschaft immer wieder dazu verleitete.

Nachdem wir im Hostel angekommen waren, begann Thibault unverzüglich an der Traumaverarbeitung – mit reichlich Bier. Beim Family Dinner im Anschluss wurde uns alle fünf Minuten neues „Happy Water“ eingegossen und am Ende des Abends schaffte ich es gerade noch die Schuhe auszuziehen. Nach 7 Stunden tiefsten Schlaf erwachten wir gegen 10 Uhr am Folgetag und uns beiden war klar, dass heute nicht viel laufen würde. Als erstes buchten wir uns jeder ein Einzelzimmer und luden dort unser Gepäck ab. Nach dem Mittag beschlossen wir, die Strecke von gestern Abend noch ein Stück zurück zu fahren, um das, was wir gestern im Dunkeln nur erahnen konnten, noch einmal bei Tageslicht anzuschauen. Den Weg zurück zu fahren war wirklich eine gute Idee, denn der Ma Pi Leng Pass bietet umwerfende Kulissen. Die Panoramen lassen sich nicht in Bilder oder Worten einfangen und beschreiben – muss man gesehen haben.
Ordentlich ausgeschlafen ging es am 29.10. noch mal ein Stück zurück. Dieses Mal bogen wir kurz vor dem Pass allerdings rechts ab und fuhren eine ziemlich schlechte Serpentinenstraße zum Dorf Xin Cau immer bergauf. Das Dorf selbst ist ziemlich unspektakulär, der Weg dorthin allerdings wirklich herausfordernd und auf jeden Fall den Ritt wert. Am Ende von Xin Cau kann man dann auch noch bis an die chinesische Grenze fahren und diese, wenn man mutig ist, auch verbotener Weise übertreten.

Nachdem wir wieder im Tal angekommen waren, holten wir unser Gepäck, aßen Mittag und machten uns auf den 70Km langen Weg nach Du Gia. Vor allem die 15 Kilometer vor dem kleinen Zielörtchen gehörten wahrscheinlich zu den schönsten Abschnitten des gesamten Loops und zwang uns immer wieder, unser Fahrvergnügen zu Gunsten von Fotostopps zu unterbrechen. Am Abend gab es wieder ein unglaublich leckeres Family Dinner und ich ging zeitig zu Bett. Allerdings sorgten die Holzwürmer in den Wänden des Homestays für dauerhaft nervige, kratzende Geräusche. Ich schlief erst sehr spät ein und wurde früh um sechs von Hahnengekräh und dem Lärm einer sich anscheinend sehr nahe befindlichen Schule geweckt. Auch das noch – alles woran ich jetzt nicht denken wollte, war Schule.



Nach dem Frühstück befolgten wir nicht den Rat der anderen Biker und fuhren die südliche Route über Minh Ngoc zurück nach Ha Giang. Während ich den schlaglochübersähten Schotterpisten wenigstens die fahrerische Herausforderung abgewann, war es für Thibault reinste Quälerei. Im Nachhinein betrachtet, wäre es besser gewesen, ein Teilstück zurück zu fahren und via Yenh Minh zurück nach Ha Giang zu fahren.Als wir schließlich ankamen, suchte ich noch den örtlichen Friseursalon auf und erntete ein Mal mehr Respekt für meine Dreads. Für den 31.10. hatten wir uns dann einen Sleeperbus zurück nach Hanoi gebucht. In diesem Bussen kann man die Fahrtzeit im Halbliegen ganz bequem ertragen, wären da nicht die langen Distanzen zwischen den Pausen. Zwischen der ersten und zweiten Pause lagen ganze 4,5 Stunden. Besonders ätzend: man hat Durst, kann aber nur ganz wenig trinken, weil man sonst die ganze Zeit pullern muss.
Auf dem Weg zurück nach Hanoi passierte unser Bus zwei Unfallstellen. An der ersten sah man nur ein total zerstörtes Moped und eine Blutlache auf dem Asphalt. Am zweiten Unfallort war für den Mopedfahrer nichts mehr zu machen. Mit einem Tuch über dem Kopf und mit verdrehten Beinen lag er um sein Moped gewickelt auf der Straße und das Auto des Unfallgegners stand daneben. Der Anblick der Leiche ließ mich meinen Wunsch nach einem Motorradführerschein anzweifeln. Allerdings weiß ich auch, dass man viel schneller im Straßenverkehr umkommt, wenn man ohne Helm, Schutzkleidung, dann eventuell noch mit einer Hand am Smartphone waghalsige Manöver macht. Sicher ist Motorradfahren gefährlich, sicher sterben auch viele Motorradfahrer weil andere Verkehrsteilnehmer Fehler machen. Dennoch denke ich, dass man einen großen Teil seiner Sicherheit selbst in der Hand hat und wenn man sich nicht selbst überschätzt und immer (!!!) mit der Dummheit der Anderen rechnet, einem nicht unbedingt etwas zustoßen muss.
Am 01.11. zog ich im Hostel aus und bezog ein Hotel in der Nähe. Ich putzte mich ein wenig heraus und holte Anika vom Flughafen ab, um mit ihr unseren neunten Jahrestag zu zelebrieren. ❤