Am Samstag um 6 Uhr klingelte der Wecker in Berlin. Was wünscht man sich denn sonst nach einer Arbeitswoche mit 6 Uhr Aufstehen. Aber hilft ja alles nichts, wer weg will, muss früh aufstehen. Und wer einen Freund hat, der ständig Panik schiebt, dass wir zu spät kommen könnten, (was nebenbei bemerkt vollkommen mit meiner „ach-wir-haben-noch-Tonnen-von-Zeit-Einstellung“ kollidiert) sowieso. Also den Rest Sachen gepackt, Kühlschrank nach allem aussortiert, was in zwei Wochen anfangen könnte zu leben, letzter Blick auf alles und los.
Da trotz Christians Vorahnungen in Berlin kein plötzlicher Wirbel-,Schneesturm oder Atomkrieg ausgebrochen war, kamen wir schon um 9 Uhr am Airport Tegel an und vertrieben uns noch etwas die Zeit, bis wir endlich 12.20 Uhr abhoben. Auch der Anschlussflug von Istanbul verlief mehr als glatt und so setzten wir 22.30 Ortszeit (derzeit +1,5 h) in Teheran auf.
Im Flugzeug begann kurz nach dem Aufsetzen eine kleine Karnevalsparade. Jacken wurden angezogen, Kopftücher aufgesetzt. Jeder zupft und zieht und versucht sich mit dieser neuen Kleidung zurechtzufinden. Im ersten Moment ist das schon ein wenig komisch. Es ist halt nicht nur Kleidung, die man sich überstreift, sondern auch eine religiös-politische Wertvorstellung, die man vielleicht nicht annehmen, aber wenigstens akzeptieren muss.
Weit aus dem Flugzeug kamen wir dann jedoch nicht, denn wir mussten das Visa-on-arrival arrangieren. Wir hatten in Berlin schon ein E-Visa beantragt, aber da es Probleme gab, nicht rechtzeitig bewerkstelligen können. Die Visabeamten hatten dazu eine etwa 3 Quadratmeter große Absperrung um den Schalter gezogen. Darin bewegten sich 2 weitere Visabeamte und versuchten verzweifelt, der um ihr „Gatter“ anstehenden Masse gerecht zu werden. Das ganze wird noch richtig lustig und extrem organisiert, wenn sich Leute wie um die Pandas im Berliner Zoo scharen, die 1. einen Zettel mit der Zahlungsaufforderung an die Bank erhalten wollen, 2. Registrationen bekommen oder abgeben 3. die Pässe mit Zahlungsbestätigung der Bank abgeben und 4. fertige Pässe mit Visa wieder abholen wollen. Dazwischen ein paar nicht der englischen Sprache mächtigen Franzosen, die intelligenterweise noch einmal 75 € bezahlt hatten, obwohl sie bereits in Frankreich ein Visum erhalten hatten. Chaos perfecto!! Das Ganze wurde bei uns wahrscheinlich nicht dadurch vereinfacht, dass wir ja schon mal versucht hatten, ein Visa zu bekommen, was die Beamten vollends verwirrte. Nach 2,5 h Stunden füllte das Visum eine weitere Seite des Passes. Doch wo war das Gepäck? Ob es schon 2,5 h Achterbahn fuhr? Nein, es stand einsam und allein in einer Ecke. Nächste Hürde: Bargeld. Auch sehr witzig, wenn 1 € etwa 40.000 Rial sind. Mit harten Verhandlungsgeschick und Verweis auf seine neue Scheinfrau Anika konnte Christian der Tante im Geldwechselbüro 200 € aufschwatzen und bekam dafür mehrere Zentimeter Rial. Als Multimillionäre verließen wir das Büro, um uns dann einen Kleinkrieg an Taxifahrern auszusetzen, die darum stritten, wer uns günstiger in die 40 km entfernt liegende Innenstadt bringen konnte. Das macht viel Sinn, wenn es sowieso Preisabsprachen gibt und uns alle für 75000 Koman (Koman sind Rial mit einer 0 weniger), also für 16 € an den Wunschort bringen wollten. Obwohl wir einen Fahrer erwischten, der von Spur oder Geschwindigkeit halten nicht so viel hielt und außerdem dauernd zuckte, brachte er uns sicher am Hotel an.
Da man nicht viele Hotels von Deutschland aus buchen kann (was man aber für das Visa braucht) war dieses hoffnungslos überteuert, bot aber das ersehnte Bett. Drei Uhr in der Nacht bitter nötig!
Um 9 Uhr klingelte wieder der Wecker, Frühstück war angesagt. Dabei gab es eine kurze Schlachtplanbesprechung.
Um 12 Uhr zogen wir los in Richtung großer Basar. Dazu stürzten wir uns todesmutig in den Teheraner Verkehr und später in den Untergrund. In den Metros gibt es getrennte Abteile für Männer und Frauen. Was man erst noch als umständlich und rückständig empfand, machte spätestens dann, wenn die Tür zuging, echt Sinn. Sardinenbüchse vom Feinsten. Jetzt mit 1,60 m zwangsläufig mit der Achsel+Schweiß eines fremden Mannes knuddeln? Nee, lieber nicht. Dann lieber mit den durchschnittsmäßig auch so winzigen Ladies quetschen. Durch jede noch so kleine Lücke quetschen sich auch Verkäuferinnen, die denken, dass Frauen, die kaum noch atmen können, gerade Haargummis, Bürsten oder Socken brauchen. Da wir das Kuscheln gerade so drinne hatten, ging es direkt auf dem Basar weiter. Durch die teils engen, überdachten Gassen strömen täglich Zehntausende Iraner und Touristen. Außer Alkohol, Drogen und Pornos gibt es hier in kaum durchschaubarer Ordnung wahrscheinlich alles Mögliche und Unmögliche. Dazwischen ziehen Händler hochbepackte Wagen durch die Menge und pfeifen sich den Weg frei. Nachdem Christian seiner neuen Scheinfrau standesgemäße Kleidung kaufte und wir uns mit Hassan, dem Verkäufer, einen Ingwertee hinter die Binde gossen, knurrte der Magen. Soviel Sinnesüberflutung macht hungrig. Nur schon einmal vorweg. Iran ist das Land für Vegetarier und Veganer. NICHT! Außer ein paar Vorspeisen und begrenzte Hauptspeisen ist Tier Trumpf. So gab es zum Mittag Kebab.
So gestärkt machten wir uns zum Treffpunkt der Free Walking Tour auf. In der U-Bahn passierte dann das Unvermeidliche. Abgelenkt von ein paar Frauen, die mich auf Farsi und Englisch mit Fragen überhäuften, schaffte ich es nicht mehr, bis fünf zu zählen und stieg zu spät aus. Eigentlich ganz gut, wenn iranische Eheleute mal keinen Bock mehr aufeinander haben, steigen sie einfach falsch aus. Ich fügte mich meinen Scheinehemann und fuhr einfach eine Station zurück.
Am Kunstmuseum trafen wir dann auf unseren Guide Abbas und die Gruppe von einem Thüringer, einem Sachsen und zwei Schweizern. Völlig zwanglos ging es dann kurz in das Museum und dann zur ehemaligen amerikanischen Botschaft. Im Jahr 1979 besetzte dort der Revolutionsführer und späterer Regierungschef Chomeini mit Hilfe von Studenten in Abwesenheit des Schahs (Regierungschef vor der Revolution) die amerikanische Botschaft. Ziel war unter anderem, die Auslieferung des Schahs aus den USA zu erpressen. Erst 444 Tage nach der Besetzung erfolgte die Freilassung der Geiseln. Seitdem herrscht eisige Stimmung zwischen den beiden Ländern. Beide Länder tragen wohl ihr übriges dazu bei, Vorurteile zu schüren. Graffitis an der Botschaftswand wie eine Skelettfreiheitsstatue oder „Down with the USA“ sprechen eine deutliche Sprache. Das versprochene vegetarische Restaurant stellte sich dann doch als antivegetarisches Restaurant heraus. Bei mir gab es „Dizi“, eine Art lange im Steintopf geschmorter Gulasch, der zwar komischerweise vor dem Essen bis zur Unkenntlichkeit zerstampft werden muss, aber hervorragend schmeckt und bei Christian, weil es so schön war, noch einmal Kebab.
Anschließend stellte sich unser Guide Abbas als wahres Multitalent heraus. Er besorgte uns eine iranische Simkarte, organisierte eine Busfahrt für uns und bestellte uns ein Taxi zum Hotel. Sehr fürsorglich! Abbas, der mit 24 schon einmal geschieden war und Proxyserver zur Umgehung der gesperrten Seiten (Facebook, Youtube, Amazon, Blogdienste, Amnesty International..) mehr als offensichtlich nutzte, zeigte ganz gut ein Bild eines jungen Iraners, der vielleicht nicht ganz so dem Idealbild des seit 1989 herrschenden Mullahs Chamene´i entspricht.
So (und mit einem alkfreien Bier) ging unser erster Tag im Iran zu Ende. Ob wir verrückt wären, hatten uns viele nach Verkündigung unserer Pläne gefragt. Warum eigentlich? Wir sind nicht im Irak, hier fallen keine Bomben, wir haben noch keine Terroristen gesichtet und die auch nicht uns, eine Burka haben wir auch noch nicht gesehen, es ist abgesehen vom Smog ziemlich sauber, die Menschen sind ziemlich freundlich und die einzige wirkliche Gefahr ist nur die, eine Zucker- oder Koffeinüberdosis zu erleiden. Einmal tief durchatmen, alles ist gut!









